„Da sieht jeder Privat-Pkw alt aus“

Henrik Falk, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Hochbahn AG, über die Funktion des ÖPNV in der lebenswerten Stadt der Zukunft, den Erfolg der Initiative „Elektrobus“ in deutschen Großstädten und das Engagement seines Unternehmens bei der Entwicklung autonom fahrender Kleinbusse.
Über mehrere Jahrzehnte galt das Auto für viele Menschen als Sinnbild persönlicher Freiheit. Welche Rolle wird es in der Stadt der Zukunft spielen?
Die Art und Weise, wie das Auto genutzt wird, ändert sich gerade bereits deutlich. Das Auto verliert seine Bedeutung als Statussymbol, und die Gesellschaft setzt immer mehr auf das Teilen als auf den Besitz. Schon heute sind Sharing-Angebote auf dem Vormarsch und ihre Attraktivität steigt, da die Nutzung immer einfacher wird. In einer optimistischen Variante werden dadurch künftig weniger Autos in der Stadt sein, und im besten Fall sind die verbleibenden Fahrzeuge elektrisch. Eine wichtige Voraussetzung für die optimistische Variante ist ein weitreichendes ÖPNV-Angebot. Hinzu kommen neue Mobilitätsdienstleister, die einen Kundenservice näher am privaten Pkw bieten, bei dem auch sehr Pkw-affine Nutzer ein eigenes Auto überhaupt nicht vermissen.
Wie lange kann es dauern, bis die Maximalforderung Freie Fahrt für freie Bürger angesichts drohender Verkehrsinfarkte und steigender Umweltbelastungen endgültig aus den Köpfen der Autofahrer gelöscht ist?
Wir konzentrieren uns darauf, die Autofahrerinnen und Autofahrer zu erreichen und von den Vorteilen des ÖPNV in Verbindung mit Sharing-Angeboten zu überzeugen. Es soll ein freiwilliger Umstieg sein, was viel Fingerspitzengefühl erfordert, da wir genau auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen müssen. Unser Angebot wird immer attraktiver und besser. Schon heute zieht der Busfahrgast auf der Busspur an den im Stau stehenden Pkw-Nutzern vorbei und surft dabei im Internet – wobei der WLAN-Zugang vom ÖPNV-Betreiber kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Da entsteht auf der anderen Seite eine gehörige Motivation, das eigene Mobilitätsverhalten in Frage zu stellen.
Immer mehr Städte- und Verkehrsplaner plädieren für die konsequente Rückgewinnung des urbanen Raums als lebenswertes grünes Umfeld. Ist die mobile Gesellschaft heute schon reif für solche Strategien?
Der urbane Raum ist begrenzt, also knapp und wertvoll. Dass der zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von stehenden und ungenutzten Pkw in Anspruch genommen wird, kann ja wohl niemand wollen. Deshalb ein ganz klares JA. Eine solche Strategie darf und kann nicht bedeuten, dass die Mobilität der Gesellschaft eingeschränkt wird. Wir arbeiten daran, eine integrierte Mobilitätsplattform bereitzustellen, die es den Kunden leicht macht, auf den privaten Pkw zu verzichten, womit sie schon automatisch einen Beitrag für ein lebenswertes und grünes Umfeld leisten. Nur wenn es uns gelingt das Verkehrsaufkommen zu verringern und dabei gleichzeitig mehr Mobilität zu ermöglichen, wird die Strategie erfolgreich sein. Eine lebenswerte Stadt wird dabei natürlich auch durch einen guten und flexiblen ÖPNV geprägt.

Inwieweit werden innovative Technologien wie die Elektromobilität und das autonome und vernetzte Fahren den Umdenkprozess in den nächsten Jahren beeinflussen?
Bei der Elektromobilität werden im ÖPNV-Bereich schon jetzt große Fortschritte erzielt. Die HOCHBAHN wird ab 2020 nur noch emissionsfreie Elektrobusse beschaffen. An der gemeinsam mit Berlin gegründeten Initiative „Elektrobus“, der mittlerweile die wichtigsten Großstädte Deutschlands angehören, wird sichtbar, dass sich der Wandel bundesweit zeigt. Der Weg hin zur E-Mobilität wird ein wichtiger Faktor sein, die urbane Lebensqualität zu steigern.
In langfristiger Perspektive eröffnet autonomes und vernetztes Fahren dem ÖPNV vielversprechende Möglichkeiten, seinen Service auszuweiten, der heute in bestimmten Gebieten und zu bestimmten Randzeiten einfach nicht darstellbar ist. Allerdings stehen diese Technologien ganz am Anfang ihrer praxistauglichen Entwicklung und erfordern intensive Testphasen und Pilotprojekte. Mit unserem Projekt HEAT und sechs renommierten Partnern machen wir uns gerade auf den Weg, dieses Feld im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes zu beschreiten. Zum ITS-Weltkongress im Jahr 2021 wollen wir gezeigt haben, dass ein autonom fahrender Kleinbus in den regulären Verkehr integriert werden kann. Dazu muss er allerdings in der Spitze 50 km/h fahren. Das gibt es derzeit weltweit noch nirgends, das ist echte Pionierarbeit. Aber Pioniere sind wir ja seit 1911 – unserem Gründungsjahr.
Wie könnten Städte Ihrer Meinung nach die Entwicklung eines agilen Systems kleiner fahrerloser Busse unterstützen, die die Passagiere fast unmittelbar vor der Haustür abholen und dank hoher Priorität im Netz einen Reisezeitgewinn versprechen?
In dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt HEAT ist die Stadt nicht nur Unterstützer, sondern Partner. Wir fahren auf öffentlichen Flächen, nutzen die städtische Infrastruktur wie etwa Signalanlagen. Aber vor allem sind ja auch zulassungsrechtliche Fragen zu klären. Hier spielt die Stadt eine entscheidende Rolle. Es ist aber letztlich auch ein Projekt, das einer klaren politischen Unterstützung bedarf.

Wie sieht Ihr Idealszenario eines perfekten städtischen Mobilitätssystems in den nächsten 10 / 20 / 30 Jahren aus?
Idealerweise sollte sich der Kunde überhaupt keine Gedanken mehr über Mobilität machen müssen. Ob nun schneller mit dem Bus, der Bahn oder mit dem geteilten Pkw, ob mit dem Fahrrad oder dem Elektroroller – die für den Einzelnen optimale Mobilität wird über eine Plattform zusammengestellt und angeboten. Der Kunde muss sich keine Gedanken über Tarife, Verfügbarkeit und Wege machen. Mobilität wird zur schönsten Nebensache der Welt. Einen wichtigen Grundstein dafür in Hamburg wird die neue switchh-Plattform legen, die derzeit entsteht und 2019 an den Start gehen soll.
Wir können uns aber kein Szenario vorstellen, in dem der ÖPNV nicht das Rückgrat der innerstädtischen Mobilität bildet. Massentransportmittel ist kein schönes Wort, aber ein Alleinstellungsmerkmal des ÖPNV. Wir investieren hier – und zwar deutlich mehr als früher. Wir schätzen nicht mehr nur Bedarfe ab und weiten die Leistung entsprechend aus, sondern planen angebotsorientiert. Ein wichtiges Projekt dabei ist der Bau einer vollautomatischen U5, auf der alle 90 Sekunden eine U-Bahn kommt. Das ist ein Angebot, da sieht jeder Privat-Pkw einfach nur noch alt aus.
Wie hat sich Ihr ganz individuelles Mobilitätsverhalten bereits verändert – und wie wird es sich künftig weiterentwickeln?
Ich persönlich fahre täglich mit Fahrrad und S-Bahn zur Arbeit. Für längere dienstliche Wege nutze ich schon einmal ein E-Fahrzeug. Die Wege zwischen Steinstraße und Rathaus gehe ich zu Fuß. Als Familie nutzen wir einen Privat-Pkw, weil es für bestimmte Lebenssituationen wie Wochenendaktivitäten und größere Einkäufe bislang einfach häufig kaum passende Sharing-Angebote gibt.
In den meisten Lebenssituationen ist es schon heute möglich, auf das Auto zu verzichten.
Können Sie sich vorstellen, in absehbarer Zeit vollständig auf das Auto zu verzichten und innerstädtisch nur noch Car- und eBike-Sharing-Angebote sowie öffentliche Transportmittel zu nutzen?
In den meisten Lebenssituationen ist das schon heute möglich. Das Rückgrat der Mobilität ist der öffentliche Nahverkehr. Das wird auch in der Zukunft so bleiben. Was aber hinzukommen muss, sind weitere Sharing-Angebote für unterschiedliche Bedarfe. Dazu gehören auch neue On-demand-Services, die einen Komfort ähnlich dem privaten Pkw bieten, aber deutlich günstiger sind. Wenn dann die unterschiedlichen Mobilitätsangebote für alle Lebenssituationen komfortabel auf einer Plattform organisiert werden, dann gibt es eine wirkliche konkurrenzfähige Alternative zum Besitz eines Pkw.
Mit welchem Gefühl verbinden Sie den Blick in die Zukunft der Mobilität: mit einem Verlust oder mit einem Gewinn persönlicher Freiheit?
Für mich ist es definitiv ein Gewinn persönlicher Freiheit. Heutzutage beschäftigen wir uns sehr viel mit Mobilität. Welche Wege lege ich mit welchen Mobilitätsangeboten zurück? Ich muss mich an Fahrplänen orientieren und meine Mobilität organisieren. Auf den Straßen dominiert der Stau. Private Pkw stehen pro Tag 23 Stunden rum und blockieren städtische Freiräume. Mobilität ist eins der Hauptthemen. Das verbinde ich nicht mit persönlicher Freiheit und Lebensqualität.
Viel besser wäre es doch, wenn Mobilität zur schönsten Nebensache der Welt wird. Eine Mobilität ohne Fahrpläne, mit einer Mobilitätsplattform, die die individuellen Angebote nach den jeweiligen Bedarfen organisiert. Das wird die private Pkw-Nutzung überflüssig machen. Weniger Verkehr auf den Straßen, weniger Flächen für Pkw-Parkplätze, bessere Luft, weniger Lärm. Das bedeutet für mich ein Mehr an persönlicher Freiheit und eine höhere Lebensqualität.
16.4.2019
Peter Rosenberger, Journalist in Bodman-Ludwigshafen
Bildquellen: Hamburger Hochbahn AG