„Mobilität auf der Straße wird sicherer und bunter“

Oliver Schmerold, Direktor des Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touring Clubs (ÖAMTC), über Hochrechnungen zur Reduzierung der CO<sub>2</sub>-Emissionen, ein Konzept für hochautomatisierte Luftfahrzeuge für den individuellen Personentransport und mögliche Lösungen der Strukturprobleme des ländlichen Nahverkehrs.
Über mehrere Jahrzehnte galt das Auto für viele Menschen als Sinnbild persönlicher Freiheit. Welche Rolle wird es in der Stadt der Zukunft spielen?
Mobilität ist und bleibt ein wesentlicher Faktor für die persönliche Freiheit und Unabhängigkeit des Menschen. Die Stadt der Zukunft bietet ein großes Potpourri an Mobilitätsformen, das Auto wird noch lange dazu gehören – wobei der private Besitz keine Voraussetzung für die Nutzung sein muss. Gerade im urbanen Bereich braucht es einen sinnvollen Mobilitätsmix, bei dem ein gutes Zusammenspiel aller Verkehrsformen immer wichtiger wird. Für ein faires Miteinander müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen und neue Konzepte erarbeitet werden.
Welchen Stellenwert wird oder kann Mobilität angesichts drohender Verkehrsinfarkte und steigender Umweltbelastungen in der Zukunft haben?
Mobilität darf aus unserer Sicht nicht auf das Auto reduziert werden – sie ist ein Grundbedürfnis und muss für alle leistbar bleiben. Für viele Wiener bietet zum Beispiel das 365-Euro-Jahresticket für die Öffis genau das. Aber wir dürfen den ländlichen Raum und auch die Pendler nicht vergessen. Hier kann man nur mit attraktiveren Angeboten punkten – nicht mit Verboten.
Gleichzeitig ist klar, dass der Verkehrssektor seinen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten muss. Wie das ohne Einschränkungen der individuellen Mobilität erreicht werden kann, zeigt der vom ÖAMTC präsentierte Expertenbericht „Mobilität & Klimaschutz 2030“. Demnach werden die CO2-Emissionen dank technischer Verbesserungen und neuer Zusammensetzung der Pkw-Flotte bis 2030 um 28 Prozent sinken. Zusätzlich kann der massive Einsatz von alternativen beziehungsweise synthetischen Kraftstoffen, so genannten E-Fuels, einen entscheidenden Beitrag dazu leisten. Wie schon gesagt: Die Mobilität der Zukunft muss sowohl machbar als auch leistbar sein.

Immer mehr Städte- und Verkehrsplaner plädieren für die konsequente Rückgewinnung des urbanen Raums als lebenswertes grünes Umfeld. Ist die mobile Gesellschaft heute schon reif für solche Strategien?
Verkehrs- und Stadtplanung darf kein Verteilungskampf der unterschiedlichen Mobilitätsformen werden. Als Österreichs größter Mobilitätsclub setzen wir uns für ein sicheres Miteinander aller Verkehrsteilnehmer ein und unterbreiten den Entscheidungsträgern aktiv Lösungsvorschläge. Die Gretchenfrage: Wie kann ich alle Interessen gut vertreten, möglichst vielen Bedürfnissen entsprechen? Ganz grundsätzlich müssen Anreize geschaffen werden, um Menschen für neue respektive andere Mobilitätsformen zu gewinnen. Das funktioniert beispielsweise mit dem Ausbau des Angebots öffentlicher Verkehrsmittel oder mit ausreichend Park & Ride-Anlagen am Stadtrand mit entsprechend guter Öffi-Anbindung.
Inwieweit werden innovative Technologien wie die Elektromobilität und das autonome und vernetzte Fahren den Umdenkprozess in den nächsten Jahren beeinflussen?
Dank innovativer Technologien wird die Mobilität der Zukunft sicherer – und sie wird bunter. Im Bereich der Antriebe wird es in absehbarer Zeit zum einen hochmoderne Verbrennungsmotoren mit teils synthetischen Kraftstoffen geben, zum anderen alle Spielarten der E-Mobilität, vom batterieelektrischen Fahrzeug über alle Hybridvarianten bis hin zur Brennstoffzelle.
Parallel dazu wirken sich die technologischen Entwicklungen beim autonomen und vernetzten Fahren schon jetzt positiv auf die Sicherheit im Fahrbetrieb aus, zum Beispiel durch Notbrems- oder Abstandsassistenten. Beim autonomen Fahren stehen für den ÖAMTC Komfort und Sicherheit des Konsumenten im Vordergrund. Das gilt auch für die hochkomplexe Datenwelt, die als Basis für alle Dienste, Fahrsysteme und vernetzten Fahrzeuge dient. Hier setzen wir uns aktiv für klare Regeln zur Datenerfassung und -weitergabe im Fahrzeugbereich ein.
Gleichzeitig schaffen Innovationen Lösungen für die unterschiedlichsten Mobilitätsbedürfnisse. Dieses Potenzial wollen wir nutzen. Wir unterstützen unter anderem das Startup Volare, das ein hoch automatisiertes Luftfahrzeug für den individuellen Personentransport entwickelt. In den kommenden Jahren soll ein erster, voll funktionsfähiger Prototyp entwickelt werden.
Und wir initiieren zukunftsweisende Projekte. So bietet der Mobilitätsclub mit der neuen Drohnen-App umfassende Infos für ein sicheres Flugvergnügen, auch Drohnenkurse werden angeboten.

Wie könnte Ihrer Meinung nach der Einsatz kleiner, möglicherweise auch fahrerloser Busse die Entwicklung eines agilen Verkehrssystems unterstützen?
Die Etablierung von Mikro-ÖV-Systemen könnte einen wesentlichen Beitrag für die Verbesserung der individuellen Mobilität leisten – nicht nur in Städten, sondern speziell im ländlichen Raum. Das wäre eine Lösung für das strukturelle Problem des klassischen öffentlichen Nahverkehrs – zum Beispiel mit überfüllten Bussen zu den Tagesrandzeiten. So könnte auch ein privater Transportunternehmer in Zukunft, angepasst an die Mobilitätsbedürfnisse, die Nachfrage entweder mit einem Bus oder einem Sammeltaxi bedienen.
Wie sieht Ihr Idealszenario eines perfekten städtischen Mobilitätssystems in den nächsten 10 / 20 / 30 Jahren aus?
Individuell zugeschnittene Lösungen und Flexibilität sind das A&O der Mobilität in den kommenden Jahrzehnten. Der Ausbau des ÖV und reichhaltige Angebote an unterschiedlichsten Mobilitätsangeboten können problemlos individuell genutzt werden. Fahrerloses Fahren sorgt für mehr Sicherheit. Der ÖAMTC bietet in diesem Mix umfassende Lösungen für seine Mitglieder.
Wie hat sich Ihr ganz individuelles Mobilitätsverhalten bereits verändert – und wie wird es sich künftig weiterentwickeln?
Mein eigenes Mobilitätsverhalten ist vielfältig – angepasst an die jeweilige Situation. In Wien nehme ich die U-Bahn, das Fahrrad oder für Dienstfahrten auch gerne das E-Auto aus dem ÖAMTC-Fuhrpark. Für Ausflüge am Wochenende fahre ich auch mit dem Auto. Und da ich stets neugierig und selbst immer in Bewegung bin, werde ich auch in Zukunft neue Angebote ausprobieren. Was ich im Moment aber am häufigsten und mit großer Freude nutze: Unser neues eScooter-Sharing ÖAMTC easy way in Wien.
Mobilität soll vielfältig bleiben, nur so können möglichst viele Bedürfnisse befriedigt werden.
Können Sie sich vorstellen, in absehbarer Zeit vollständig auf das Auto zu verzichten und innerstädtisch nur noch Car- und eBike-Sharing-Angebote sowie individualisierte öffentliche Transportmittel zu nutzen?
Mobilität soll vielfältig bleiben, nur so können möglichst viele Bedürfnisse befriedigt werden. Es werden innerstädtisch die Sharing-Angebote sicher zunehmen: Autos mit unterschiedlichen Antriebsarten, eBikes und eScooter in Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Das ist auch der Grund, warum wir erstmals in der Clubgeschichte mit ÖAMTC easy way ein eigenes Mobilitätsangebot gestartet haben.
Wichtig ist es, Systeme zu schaffen, die eine verzahnte Nutzung ermöglichen. „Mobility as a Service“ beispielsweise definiert Mobilität als Dienstleistung. Dabei werden unterschiedliche Verkehrsmittel in ein gemeinsames, einheitliches Angebot integriert, das zum Beispiel über eine App zugänglich ist. Im Idealfall erhält der Kunde eine einzige Abrechnung für einen zurückgelegten Weg – egal womit er sich bewegt hat.
Mit welchem Gefühl verbinden Sie den Blick in die Zukunft der Mobilität: mit einem Verlust oder mit einem Gewinn persönlicher Freiheit?
Wenn wir Neues zulassen, Innovationen fördern, und die Voraussetzungen und Anreize für die Nutzung schaffen, dann wird die Mobilität für alle Menschen Freiheit, Entwicklung und Bewegung bringen. Die spannende Aufgabe für uns als Mobilitätsclub ist es, genau das mitzugestalten.
8.5.2019
Peter Rosenberger,Journalist in Bodman-Ludwigshafen
Bildquellen:ÖAMTC (Lorenz, Toni Rappersberger, APA-Fotoservice Hörmandinger)